Wer abkürzt ist schneller?

Eine Geschichte vom Abkürzen und eine Checkliste für Technische Dokumentation

Manchmal gibt es diese Tage, da kommt alles zusammen – OMG!
I. d. R. arbeiten meine Frühaufsteher-Kolleginnen schon auf Hochtouren am PC, wenn ich durch die Tür komme, heute schaue ich in lange Gesichter. „Streikt die EDV wieder?“ – „Ja, alles K.O., E-mail, Internet etc.“. Vorwurfsvolle Geste in Richtung Doppel-LCD-Bildschirme. „Ich mach dann schon mal etwas DTP-Arbeit offline, hat schon jemand die S1000D-IETD-Module von der CD-ROM kopiert? Die müssen noch in STE umgemodelt werden.“ Natürlich kommt jetzt noch ein ganz dringender Auftrag rein, telefonisch – wie gut, dass das Telefon noch funktioniert. HTML-Dateien für eine Website über Laser-Anwendungen, asap bitte in en, zh & it.
„Hast du schon die Nr. vom Admin gewählt?“ – „Jaaa“, schreit die Kollegin von der Tür, die gerade u. a. einen Stapel AT-Ausdrucke balanciert, während sie von einem Vokuhila-Paketboten ein Päckchen entgegennimmt. Mein Kundenradar sagt mir, dass heute aufgrund der technischen Probleme besonders viele Aufträge reinkommen werden. „Mein Akku ist leer!“ quietscht es aus der anderen Ecke. Was denn, jetzt schon? Ach so, es geht um die Digicam. Bsss, meine Arbeitsplatzleuchte flackert angriffslustig vor sich hin – hatte ich dem Hausmeister eigentlich schon wegen des Trafos Bescheid gegeben? Etwas später sind wir wieder online und ich kann einen Auftrag rausschicken: 2k Wörter de-fr mit TM, ZT-Lieferung bitte bis 12:00 CET, s. Übersetzung unter angegebener URL bzw. vgl. FAQs, viel Spaß und a+.
Wenig später hänge ich wieder am Telefon –meine Kollegin macht Raubkatzenkrallen in der Luft und formt << Rrrooarrr >> mit ihren Lippen – LI0n, ja natürlich, ich muss los zum Vortrag über Softwarelokalisierung. „Gut gebrüllt, Löwe!“ erwidere ich auf dem Weg zur Tür, „Aber nicht die A7 nehmen, Elbtunnelstau!“ kommt es zurück. Zwinkernd blicke ich über die Schulter und sage: „Keine Sorge, ich nehme die Abkürzung.“ 😉

Abkürzungsdschungel

Der Kreativität sind bei der Bildung von Abkürzungen kaum Grenzen gesetzt: von „sprechbaren“ Kurzwörtern wie Laser, Radar oder Vokuhila über reine Buchstabenketten bis hin zu Kombinationen mit Zahlen (L10n – „Lion“ – steht für Localization) und Sonderzeichen (a+ (à plus) ist die französische Variante von cu – see you).

Viele werden so gängig, dass sie nicht nur schriftlich, sondern auch verbal im Alltag verwendet werden (Akku, Trafo). Andere sind nur einer bestimmten Gruppe geläufig, z. B. „AT“ für „Ausgangstext“ und „ZT“ für Zieltext im Übersetzungsuniversum. So eine Gruppe kann dann aber aufgrund des gemeinsamen Konventionssystems besonders effektiv miteinander kommunizieren.

Abkürzungen werden auch gerne in Technischer Dokumentation (TD) verwendet. Sie sparen Zeit beim Tippen, lassen sich schneller lesen und sparen Platz, was wiederum auch Druckkosten sparen kann. Woran man jedoch nicht sparen sollte, ist die „Benutzerfreundlichkeit“ der verwendeten Abkürzungen. Nur weil sich eine Abk. schneller liest, heißt das natürlich nicht, dass man nicht vielleicht wieder mehr Zeit braucht, um die Abk. zu verarbeiten und zu verstehen. Die Zielgruppen sind nicht immer homogen. Und auch einige andere Problematiken mit Abkürzungen sollte man bedenken.

Hier unsere Checkliste in Sachen Abkürzungen in (multilingualer) TD:

  • Habe ich Abkürzungen im Text, die noch im Abkürzungsverzeichnis fehlen? Oder gar welche im Abkürzungsverzeichnis, die gar nicht im Dokument vorkommen?
  • Habe ich eine oft verwendete Abkürzung richtig eingeführt? Trotz Abkürzungsverzeichnis sollte eine zentrale, nicht gängige Abkürzung vor ihrer ersten Verwendung mit Langform erwähnt werden. Dies muss man eventuell am Anfang mehrerer Kapitel wiederholen, da ein Handbuch z. B. ja nicht immer vollständig gelesen wird, um eine bestimmte Aktion durchzuführen.
  • Habe ich Abkürzungen in sicherheitsrelevanten Texten verwendet? Man sollte jegliches Unverständlichkeitsrisiko in Sicherheitshinweisen vermeiden.
  • Habe ich im Text Abkürzungen verwendet, die nicht gängig sind?
    Gerade bei Telegrammstil oder in Tabellen können solche Abkürzungen mehrdeutig sein, manche können im Zuge von Übersetzungen von nicht-deutschen Muttersprachlern gar nicht aufgelöst werden und auch meine deutsche Leserschaft muss ich ja nicht unnötig quälen.
  • Habe ich irgendwo übersetzbare Abkürzungen in einem Abkürzungsdschungel „versteckt“, die man eventuell nicht mehr als solche erkennen kann?
    Zum Beispiel ein „ff.“ in einer Tabelle mit lauter unveränderlichen IT-Benennungen oder Dateinamen, welches tatsächlich als „und folgende“ übersetzt werden soll.
  • Habe ich firmen- oder fachspezifische Abkürzungen verwendet, für die es in den Übersetzungssprachen kein Äquivalent gibt? Vielleicht sind sie in Deutsch schöne, leicht zu merkende Abkürzungen, in anderen Sprachen aber so nicht umsetzbar. Dann muss ich damit rechnen, dass die Abkürzung später keine Abkürzung mehr ist, sondern eine Langform – eventuell auch eine sehr lange Langform. Also ggf. mehr Platz in Tabellen, Grafiken etc. einplanen und nicht auf die Abkürzung verlassen. Solche Abkürzungen, die hinterher keine mehr sind, muss man dann auch im zielsprachigen Abkürzungsverzeichnis löschen.

Und zur Erinnerung in Sachen Rechtschreibung:

  • Das (geschützte) Leerzeichen bei „bepunkteten“ Abkürzungen nicht vergessen (z. B., d. h.)
  • Bei Abkürzungen am Satzende geht der Punkt im Satzpunkt auf, verschwindet jedoch nicht vor anderen Satzendzeichen.
[von Sandra Bulla]