Übersetzer vs. Dolmetscher

Übersetzer vs. Dolmetscher„The interpreters used in our subtitling projects are…“ stirnrunzelnd folgte ich einem Vortrag über Untertitelung bei einer Übersetzer- und Dolmetscherveranstaltung. War wohl nur ein Versprecher. Nach 10 Minuten und weiteren 20 Nennungen von „interpreter“ wurde ich unruhig. Dolmetscher für Untertitelung von Filmen?

Jeder Übersetzer ist vermutlich schon einmal von Freunden, Bekannten oder völlig Fremden als „Dolmetscher“ bezeichnet worden. Das ist fast so verbreitet wie das Phänomen, dass einem unvermittelt kontextlose Wörter um die Ohren gehauen werden mit der Erwartung, eine „Instant-Übersetzung“ dafür zu bekommen.
Dem Laien sei versichert: Es handelt sich um zwei unterschiedliche Berufe mit unterschiedlichen Anforderungen – daher auch die zwei unterschiedlichen Benennungen. Dieses Prinzip findet sich auch in anderen Sprachen wieder:
> engl.: translator vs. interpreter
> franz.: traducteur vs. interprète
> span.: traductor vs. intérprete

…wie konnte es jetzt ausgerechnet auf einer Fachtagung dazu kommen, dass das verwechselt wurde? Nun, es handelte sich um einen russischen Referenten, der auf Englisch vortrug. Warum das einen Unterschied macht, erklärt Ihnen am besten meine russische Kollegin… Frau Kollegin, bitte übernehmen Sie…

Sehr gerne…
Die russische Entsprechung für „Übersetzer“ ist quasi ein Sammelbegriff für „Übersetzer“ und „Dolmetscher“. Um diese Begriffe auseinanderhalten zu können, werden im Zusammenhang mit diesem Substantiv kontextabhängig zwei Adjektive verwendet.
Somit ergibt sich für „Dolmetscher“ = „устный переводчик“ (wörtlich: der mündliche Übersetzer) und für „Übersetzer“ = „письменный переводчик“ (wörtlich: der schriftliche Übersetzer).
Oft ist es aber so, dass man auf eine explizite Unterscheidung zwischen einem Übersetzer und einem Dolmetscher verzichtet und nur die Tätigkeit des Übersetzers/Dolmetschers an sich als „mündliche/schriftliche Übersetzung“ konkretisiert. Sprich, in manchen Fällen wird gar nicht genauer beschrieben, ob es sich denn jetzt um einen Dolmetscher oder einen Übersetzer handelt und somit ist der „Gesuchte“ nur aus dem Gesamtkontext zu erschließen.
Etymologisch (Anm.: das ist übersetzernerdisch für „von der Wortherkunft her“) konnte ich den Grund für dieses Phänomen auch nach ausgiebiger Fachbuch- und Internetrecherche nicht belegen. Interessant ist aber die Tatsache, dass es etwa bis zum 18. Jahrhundert im Russischen eine eigene Benennung für „Dolmetscher“ gab, die dann im Laufe der Zeit mehr und mehr durch die heutige Form des „mündlichen Übersetzers“ ersetzt wurde.

Übrigens gibt es für „Sprache“ und „Zunge“ auch nur ein Wort im Russischen – wenn man vergisst, dass die Zuordnung „Konzept zu Benennung“ nicht immer 1:1 ist, können sich schnell übersetzerische (oder dolmetscherische? ;-)) Missverständnisse und Fehlgriffe ergeben.

[von Sandra Bulla et al.]